Donnerstag, 27. März 2014

Laon 1814


Um Mitternacht hat man ihn am 9. März noch gesehen, danach ist er für Tage verschwunden. Da ist er nur noch ein zitterndes Häufchen Elend, hat nichts mehr von diesem Blücher, wie wir ihn von dem Bild von Thomas Lawrence kennen. Die Schlacht von Laon am 10. März 1814 findet ohne ihn statt. Spekulationen machen die Runde, der Feldmarschall sei geistig umnachtet. Der russische General Alexandre Langeron soll gesagt haben: Au nom de Dieu, transportons ce cadavre avec nous, das sagt auf jeden Fall der General Carl von Müffling (ein Intimfeind von Gneisenau) in Aus meinem Leben. Leider ein Werk, das mit größter Vorsicht zu betrachten ist.

Mit schöner Süffisanz schreibt der preußische Oberst Bernhard von Poten in der Allgemeinen Deutschen Biographie über Müffling: In seinen Denkwürdigkeiten aber beansprucht er das Verdienst eines weit größeren Antheils an den Erfolgen; er will Gneisenau, welchem er Vortrag hielt, wie dieser wieder dem Feldmarschall Blücher vortrug, in ähnlicher Weise beeinflußt haben, wie Gneisenau es bei Blücher that. Die Rathschläge zu allen gelungenen Unternehmungen will er selbst gegeben, die Mißerfolge der fehlgeschlagenen Maßregeln will er vorausgesehen haben. Das Verhältniß zwischen M. und Gneisenau war kein erfreuliches; Letzterer nennt ihn in einem Briefe an Clausewitz aus späterer Zeit „übermüthig im Glück, verzagt im Unglück; wenn es gut ging, wollte er Alles an sich reißen, wenn es schlecht ging, ward er so hinfällig, daß er keine Arbeit mehr verrichten konnte.“ Wenn man sich die Mühe macht, Müfflings Aus meinem Leben (➱hier im Volltext) zu lesen, wird man sehen, dass er die Rathschläge zu allen gelungenen Unternehmungen selbst gegeben hat. Wenn Blücher und Wellington Napoleon besiegen, dann nur, weil sie nach den Plänen des miles gloriosus von Müffling handeln. Das ist wirklich sehr komisch.

Der Comte de Langeron, der schon mit der französischen Armee in Haiti war und unter Rochambeau mit den Amerikanern gegen die Engländer kämpfte, war während der Französischen Revolution nach Rußland geflohen. Jetzt ist er russischer General. Aber der dienstälteste Korpskommandeur weigert sich, den ihm angetragenen Oberbefehl zu übernehmen. Er weiß, dass Yorck und Bülow ihm nie gehorchen würden. Gneisenau soll es machen, der will eigentlich auch nicht. Er kann das auch nicht, er kann Theorie und Planung, er ist niemand, der eine ganze Armee im Felde führen kann. Er genießt auch kein Ansehen unter den Generälen der Armee, weil er nie eine größere Armeeeinheit im Kampf kommandiert hat. Ein Jahr später wird er bei Ligny für einen Tag wieder den Oberbefehl haben, wenn Blücher unter sein Pferd gekommen ist. Vielleicht hätte man jemand anderen als Gneisenau nehmen sollen, aber die Führer der einzelnen Korps sind untereinander zerstritten. Die Kommandoebene der Schlesischen Armee ist genau so fragil wie die heutige GroKo in Berlin.

Der General Hans David Yorck von Wartenburg zum Beispiel kann den russischen General von der Osten-Sacken nicht ausstehen, wenn er ihn nicht bei Montmirail rausgehauen hätte, dann hätte Fabian Gottlieb von der Osten-Sacken wohl kein Korps mehr. Aber eigentlich versteht von der Osten sein Handwerk, der Infanterist ist einer der wenigen, der sich ganz von unten nach oben gedient hat. Das respektiert Blücher. Hier im Bild ist er von George Dawe gemalt, der ja alle russischen Generäle des Freiheitskrieges gemalt hat (lesen Sie dazu mehr in dem Post ➱Kutusow). Aber die Frage ist, wen kann der Graf Yorck von Wartenburg überhaupt ausstehen? Der Mann hat das Benehmen einer Primadonna. Historiker schreiben an dieser Stelle höflich, dass er ein schwierigen Untergebener gewesen sei. So sagt Dominic Lieven in Russia against NapoleonLieutenant-General Hans David von Yorck, the commander of the Prussian corps on the left flank of Napoleon's forces, was a very difficult man even by comparison with senior Russian generals of the era. Arrogant, prickly and hypercritical, he was a nightmare as a subordinate.

Yorck hatte mit den Russen die Konvention von Tauroggen besiegelt, was für seinen Vorgesetzten, den französischen Marschall Jacques MacDonald (Bild) nur Verrat war: Ce général préparait une trahison qui n’a aucun exemple dans l’histoire. Yorcks Brief an MacDonald endet mit dem Satz: Indem ich Ihnen, gnädiger Herr, diese Erklärung mache, entledige ich mich der Verpflichtung gegen Sie und bitte Sie, die Versicherung der tiefsten Hochachtung zu genehmigen. York. Und das ist letztlich der Beginn des deutschen Freiheitskrieges, auch wenn der preußische König ihn seines Kommandos enthebt und einen Offizier schickt (der nie ankommt), um den Vaterlandsverräter (denn noch sind die Preußen französische Alliierte) festnehmen zu lassen. Yorck hat mit Stein, Hardenberg und den anderen preußischen Reformern nichts im Sinn, Gneisenau mit seinen Reformideen hält er für einen radikalen Spinner. Yorck läuft jetzt nicht zu den Russen über, er steigt nur für einen Augenblick aus der Geschichte aus. Und macht dadurch Geschichte. Jetzt ist er Blüchers Untergebener, er hält Blücher für einen Idioten. Er kann es auch nicht vergessen, dass man Blücher ihm vorgezogen hat, als es um das Kommando der Schlesischen Armee ging.

Aber der 9. März 1814 ist der Tag des Grafen Yorck von Wartenburg gewesen, der zusammen mit Kleist den Angriff auf Napoleon schon vor dem eigentlichen Plan begonnen hat. Blücher schreibt ihm um Mitternacht einen Brief: Euer Exzellenz haben auf neue bewiesen, was Einsicht mit Entschlossenheit verbunden vermag. Ich wünsche Hochdenselben Glück zu den brillanten Resultat dieses Tages, und vermag in beiliegender Disposition nur das zu verfolgen, was Euer Exzellenz so schön begonnen haben. Das heißt, er billigt Yorcks Pläne für den 10. März. Aber an diesem Tag geht, obwohl Napoleon die Schlacht verliert und das Schlachtfeld räumt, alles schief für die Schlesische Armee: Doch am folgenden Morgen erkrankte Blücher an einem Fieberanfall und einer Augenentzündung, und Napoleon blieb in provokatorischer Haltung weiterhin in derselben Stellung. Dadurch wurden die Männer, die jetzt die Operationen leiteten, so eingeschüchtert, daß sie nicht nur den bereits begonnenen Vormarsch ihrer eigenen Truppen stoppten, sondern Napoleon auch ermöglichten, sich bei Nachteinbruch ruhig nach Soissons zurückzuziehen, schreiben Karl Marx und Friedrich Engels. Yorck will zu Blücher, aber Gneisenau läßt ihn nicht vor. Yorck ist tödlich beleidigt, reicht seinen Rücktritt ein (nicht zum ersten Mal) und besteigt die Kutsche nach Brüssel. Aber Blücher schreibt ihm am 12. März: Alter Waffengefährte, verlassen Sie die Armee nicht, da wir am Ziel sind; ich bin sehr krank und gehe selbst, sobald der Kampf beendet. Yorck kommt zurück.

Ist es wirklich wahr, dass Blücher geisteskrank ist und die Schlesische Armee ohne Führung ist? Zugeben, er ist krank. Er hat hohes Fieber, Schmerzen im Unterleib, seine Augen sind so entzündet, dass er kaum noch etwas sehen kann. Sein Geist verwirrt sich, er hat eine schwere Depression. Die hat er in Schüben schon immer gehabt, das sollte sein Umfeld wissen. Schon 1808 hatte ihn sein Leibarzt namens Johann Karl von Horlacher (Bild) über den er später sagen wird: Ja, Horlacher! Ihr seid ein braver Kerl! Ich werde in meinem ganzen Leben nicht vergessen, was Ihr an mir gethan habt, wegen der gleichen Symptome behandelt. Prostatabeschwerden, eine Verengung der Harnröhre und eine trübe und hypochondrische Gemüthsstimmung. Und bei seinem Leibarzt Bieske können wir über den 10. März lesen: oft mußten der Graf v. Nostritz und ich ihm die Hand darauf geben: 'ihn nicht eher zu verlassen, bis er todt sei, denn er wisse gewiß, daß er den künftigen Morgen nicht mehr erlebte'.

Jetzt kommen auch noch die Wahnvorstellungen, in seinen Fieberphantasien bildet er sich ein, von einem französischen Grenadier vergewaltigt worden zu sein und mit einem Elefanten schwanger zu sein. Sein Adjutant Graf Nostritz schreibt in sein Tagebuch: Wenn man ihn in diesem Zustand sah, wie er mit ängstlicher Besorgnis andauernd an den Tod dachte, mit Kleinmut jeden Schmerz wahrnahm, wie er seine Phantasie mit der Auffindung neuer Krankheitssymptome quälte und, nur mit sich selbst beschäftigt, gleichgültig gegen alles war, was außer ihm war, selbst gegen das Größte und Wichtigste, …. so musste man über die Gewalt staunen, welche das physische Befinden über die geistigen Kräfte ausübte. Wir müssen bedenken, der Mann ist zweiundsiebzig. Er hat in den vergangenen Monaten keinen Augenblick Ruhe gehabt. Im Februar hat er mehrmals gegen Napoleon verloren. Er hat große Teile seiner Armee verloren, jetzt will er den Mann, der ihn einen besoffenen Husaren genannt hat, endlich besiegen.

Sein Leibarzt Dr. Carl Ludwig Bieske tut das einzig Richtige. Verordnet viel Schlaf und einen abgedunkelten Raum, bekämpft das Fieber und die Augenentzündung. Mit den Todesgedanken und dem Elefanten muss der Patient selbst fertig werden. Trotz seiner Krankheit schreibt er am 10. März drei Briefe, an seine Frau und an seine Freunde Otto Friedrich von Bonin und Anton Wilhelm von L’Estocq. In allen Briefen wird sein Zustand nicht erwähnt. Solch nette Worte, die er über Horlacher gesagt hat, sind von ihm über Bieske nicht überliefert, aber er weiß, was er an dem hat. Bieske wird bis zu seinem Tod sein Arzt bleiben. Ein Jahr nach der Schlacht von Laon, als er bei Ligny unter sein Pferd gekommen war und der brave Nostritz seinen Mantel über ihn geworfen hatte, damit die Franzosen ihn nicht erkennen, wird es Bieske sein, der wahre medizinische Wunder verbringt. Und Blücher wieder auf das Pferd bekommt, damit er in Waterloo dabei sein kann (lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Waterloo). Schließlich muss er auf dem Pferd sitzen, wenn er Wellington in der Nacht begrüsst.

Die Schlacht von Laon am 10. März 1814 wird gewonnen, mit oder ohne Blücher. Es wird die letzte Schlacht des Feldmarschalls in diesem Feldzug sein. Seiner Frau schreibt er am 21. März: Aus dem vorstehenden [das leider nicht erhalten ist] ersiehst Du, daß ich gesund. Freilich hab' ich viel ausgestanden, aber ich bin ohne Fieber und Tag und Nacht zu Pferde. Das letzte ist wohl etwas übertrieben. Nach Paris fährt er mit der Kutsche, auf dem Kopf einen grünseidenen Damenhut mit Schleier. Die Augen sind immer noch nicht in Ordnung. Und dem preußischen König schreibt er im April 1814 aus Paris, dass er den Oberbefehl niederlegt: Mein hohes Alter, meine von den Fatigen des Krieges zerrüttete Gesundheit läßt mich vielleicht nur noch kurze Zeit das Glück hoffen, mich der so herrlich erkämpften Gegenwart freuen zu können. Die Armee betrachte ich wie meine Familie und es würde mir schmerzhaft sein, sie auf ewig verlassen zu müssen, ohne sie im Besitze des Erbtheils zu sehen, welches ihr zu verschaffen, für mich heilige Verpflichtung ist. Ein Jahr später wird man ihn wieder brauchen. Denn Napoleon kommt wieder.

Auch von Müffling wird man noch brauchen. Nach dem gewonnenen Krieg wird er als Gouverneur von Paris die von dem Pferdedieb von Berlin entführte Quadriga des Brandenburger Tors wieder nach Berlin zurückbringen (und Venedig bekommt seinen Marcuslöwen zurück): Nachdem ich den Auftrag dazu, durch den Beschluß der alliirten Minister in Paris, (an welche ich in den politischen Angelegenheiten gewiesen war,) erhalten hatte, beschloß ich zuerst, die Quadriga im Hofe der Tuillerien abzunehmen. Die Berliner sprachen damals von einer Retourkutsche (es gibt ➱hier einen gleichnamigen Post), heute hat das Wort allerdings eine andere Bedeutung.

Der Freiherr von Müffling scheint auch eine neue Bedeutung durch revisionistische Amateurhistoriker und halb-akademische Biertischstrategen zu bekommen, so liest man in einer Buchrezension: Zu seinem lange Zeit in der älteren borussianischen Geschichtsschreibung vorherrschenden negativen Image haben nicht zuletzt seine erstmals 1851 posthum unter dem Titel “Aus meinem Leben” veröffentlichten Erinnerungen beigetragen, die nach ihrem Erscheinen durch August Varnhagen von Ense als ein “Zankbuch” charakterisiert wurden. Die Kritik entzündete sich hierbei in erster Linie an seiner Beschreibung der Feldzüge von 1813/14 und 1815, bei der dem Autor einige sachliche Fehler und Irrtümer nachgewiesen wurden. Im Kern richtete sie sich aber gegen Müfflings Charakterisierungen der preußischen “Heroen” der Freiheitskriege Blücher und Gneisenau. Die allmähliche Revision dieser Position in der historischen Forschung führte schließlich so weit, dass Peter Hofschröer Müffling als einen der fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee charakterisierte, der einer der Architekten des alliierten Sieges von Waterloo gewesen sei.

Die Geschichte muss also umgeschrieben werden, weil dieser Herr Hofschroer, der den akademischen Grad eines B.A. besitzt und für die Firma Osprey Publishing schreibt, das so sagt. Das Internet macht's möglich. Hofschroers einzige Publikation bei einem seriösen Verlag, die allerdings auch als controversial bezeichnet wurde, handelt von der Schlacht von Waterloo. Allerdings eigentlich nicht von der wirklichen Schlacht, sondern von dem Diorama, das ein Captain namens William Siborne von der Schlacht angefertigt hat. Mit 75.000 Zinnsoldaten. Toll. Einer unserer fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee muss inzwischen geschützt werden. Nachdem sein Grabmal in Erfurt vor Jahren verunziert wurde, hat man ihn mit einem eisernen Käfig geschützt (oben). Sic transit gloria mundi.

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