Als ich vor Tagen über den General ➱Winfield Scott schrieb, fiel mir ein, dass ich irgendwo in den Tiefen des Computers noch ein Manuskript haben müßte, das auch vom amerikanischen ➱Bürgerkrieg handelte. Jenem Krieg, der gerade 150 Jahre zu Ende ist. Der Text wurde vor mehr als einem Jahrzehnt für die Zeitschrift Watch International der Schaffhauser Uhrenfirma IWC geschrieben, die das damals auch mit Kußhand nahm, allerdings das Ganze leider etwas kürzte. Es ist für Autoren immer schmerzlich, Redakteuren und Lektoren ausgeliefert zu sein. Das Schöne am Blogger-Leben ist, daß es hier keine Lektoren und Redakteure gibt. Es geht im folgenden Text - der eine Art Mini-Geschichte des Bürgerkriegs ist - um das Bostoner Infantrieregiment, in das der junge Uhrmacher Florentine Ariosto Jones (der heute natürlich bei Facebook ist) 1861 eingetreten ist. Er hat nach dem Bürgerkrieg die International Watch Company in Schaffhausen gegründet, weil er in Amerika nicht genügend Arbeitskräfte für eine eigene Uhrenfabrik fand. Für ihn war die Schweiz damals ein Billiglohnland. Das hat sich natürlich mittlerweile geändert. Er nahm an, dass die USA die Importzölle, die sie während des Krieges verhängt hatten, bald wieder aufheben würden. Sie taten ihm nicht den Gefallen, das bedeutete nach wenigen Jahren das Ende seines unternehmerischen Abenteuers. Wenn ein Finanzminister einmal Geld bekommt, gibt er es ungern wieder her. Die Sektsteuer, die unter Wilhelm II zum Aufbau der Flotte eingeführt wurde, haben wir immer noch. Auch wenn wir keine Schlachtschiffe mehr haben.
Man weiß über Jones nicht sehr viel, man weiß eigentlich erstaunlich wenig über den Mann mit den ungewöhnlichen Vornamen. Aber man weiß, daß er gleich 1861 als Freiwilliger zur US Army gegangen ist. Als ich das nun folgende damals schrieb, waren Computer und Suchmaschinen noch nicht auf dem heutigen Stand. Nicht annähernd. Bei den alten Apples gab es noch ein Symbol für eine Bombe. Wenn das auf dem Bildschirm erschien, war alles aus. Es erschien ziemlich häufig.
Ich ging bei der ersten Recherche für meinen Artikel davon aus, daß die Amerikaner bei all ihrer Civil War Besessenheit vieles dem Internet anvertraut hätten. Das erwies sich als richtig, es ist natürlich mittlerweile noch viel mehr geworden. Und ich hatte einen Einfall, der eines Sherlock Holmes würdig gewesen wäre. Ich besorgte mir eine alte Karte von Boston und guckte mir alle die kleinen Orte rund um Boston an. Aus denen würden die Freiwilligen der Bostoner Regimenter kommen, und bestimmt hätten diese Gemeinden heute noch Civil War Archive. Der Gedanke erwies sich als richtig, und ich bekam mehr Detailmaterial als ich eigentlich gebrauchen konnte. Ansonsten verdankt der Artikel dem Internet nicht so viel (dass es eines Tages eine ➱Website und einen ➱Blog für dies Regiment geben würde, daran war damals nicht zu denken), wohl aber der Welt der Bücher, schließlich hatte ich alle Standardwerke über den Bürgerkrieg gelesen. Und wahrscheinlich steckt hier mehr Arbeit und Recherche drin als in der Doktorarbeit von Herrn von und zu Guttenberg.
Das 13. Massachusetts Infanterie Regiment ist eins von 64 Regimentern aus diesem Staat während des Bürgerkriegs. Es wird am 16. Juni 1861 in Fort Independence in Dienst gestellt, und es wird am 1. August 1864 aufgelöst werden. 1.439 Soldaten werden in diesen drei Jahren im Regiment Dienst tun, 4 Offiziere und 117 Soldaten werden im Kampf fallen, 40 Soldaten werden Krankheiten zum Opfer fallen. Das Regiment besitzt eine eigene Hymne, gesungen nach der Melodie der Battle Hymn of the Republic, deren Text im Anhang wiedergegeben wird. Die seidene Regimentsflagge wird heute noch im Staatsmuseum aufbewahrt. Um genau zu sein, muß man sagen, daß es zwei Flaggen gibt. Die zweite Flagge wurde nach dem Krieg dem Kaufmann George Brown von der Bostoner Firma Hogg, Brown und Taylor geschenkt, in Anerkennung seiner Verdienste um das Regiment. Dies ist ein ungewöhnlicher Vorgang, aber Brown hatte sich wirklich um das Regiment verdient gemacht: 4.000 Dollar hatte er für die Gründung des Regiments bezahlt; alle seine Angestellten, die in dem Regiment dienten, bekamen ihre Gehälter für die Dauer des Krieges weiterbezahlt. Und während des gesamten Krieges versorgte Brown "sein" Regiment in schwierigen Zeiten mit Nahrungsmitteln.
Nach Kriegsende wird Brown in Framingham eine Memorial Library (links) als Civil War Monument errichten lassen, sie wird wird in den sechziger Jahren vom Abriß bedroht sein, ist aber gerade - passend zum 150. Jahrestag des Kriegsendes - neu restauriert eröffnet worden. Die Framingham Co-Operative Bank bemühte sich um die Restaurierung der arg lädierten Bürgerkriegsflagge. Das Regimentssiegel zeigt (ebenso wie das Staatswappen von Massachusetts) in einem Innenkreis auf einem Wappenschild einen Indianer mit Pfeil und Bogen und einen einzelnen Stern, Hinweis auf einen der dreizehn Gründerstaaten der USA. Der Schild wird von vier Flaggen umrahmt und von einem Arm mit einem Schwert gekrönt, über dem Arm steht das Motto des Regiments Always Ready. Der Außenring des Siegels trägt die Aufschrift 13th Regiment/Massachusetts Volunteers. Nicht mehr lesbar auf dem Siegel ist das lateinische Motto Ense Petit Placidam Sub Libertate Quietem, man sucht den Frieden durch das Schwert, aber nur den Frieden in Freiheit.
Auf dem Schlachtfeld von Gettysburg wurde nach dem Bürgerkrieg ein Denkmal für das 13th Massachusetts Regiment errichtet, das in gelbem Sandstein stereotyp wie tausende anderer Denkmäler einen Soldaten mit einer Flagge zeigt - es soll den Fahnenträger des Regiments darstellen (so der USA Baedeker von 1893), der gleich zu Beginn der Schlacht fiel. Es steht heute abseits der Doubleday Avenue im Norden Gettysburgs. Die Doubleday Avenue ist nach dem General Abner Doubleday benannt, der in Fort Sumter den ersten Schuß des Bürgerkriegs abgefeuert hatte und der nach dem Tod von General Reynolds am ersten Tag von Gettysburg dessen Korps übernahm (seit 1917 hat auch er eine Bronzestatue in Gettysburg). Wenn man bedenkt, daß die 13th Mass. bei Gettysburg keine entscheidende Rolle gespielt haben, muß es erstaunlich erscheinen, daß diesem Regiment ein derart aufwendiges Denkmal gewidmet ist. Hier sind neben den finanziellen Beiträgen von Veteranen auch Bostoner Gönner zu vermuten, die ihrem Regiment und vielleicht auch sich selbst ein Denkmal setzten.
Das 13. Regiment hat an beinahe allen Feldzügen, Schlachten und Gefechten in Virginia von 1861 bis 1864 teilgenommen, die geringen Verluste des Regiments lassen allerdings vermuten, daß es sich dabei nicht immer in vorderster Linie befand. Der Regimentsname taucht nicht in William F. Fox Auflistung der Top 300 Fighting Regiments auf, wohl aber werden dort das 15. und das 20. (The Harvard Regiment) Regiment genannt. Diese beiden Eliteeinheiten werden auch Verluste haben, die fünfmal höher sind als beim 13. Regiment. Das Harvard Regiment besitzt eine eigene ➱Internetseite. Viele andere Regimenter haben die inzwischen auch. Nicht nur im amerikanischen Süden ist die Erinnerung an den Krieg, wie es Tony Horwitz in Confederates in the Attic: Dispatches from the Unfinished War beschrieb, zu einer Art Volkssport von Amateurhistorikern und re-enactors geworden.
Das 13. Regiment wird innerhalb von drei Jahren einer Vielzahl von wechselnden Brigaden und Divisionen unterstellt sein, was einen weiteren Hinweis darauf gibt, daß es mit der militärischen Qualität der Truppe nicht so weit her sein kann. Dafür spricht auch die kuriose Tatsache, daß das Regiment erst 1864, kurz vor seiner Auflösung, zum erstenmal auf einem Schießplatz systematisch Gewehrschießen übt (allerdings ist dies kein Einzelfall in der Armee des Nordens). Davor hatte es lediglich einmal eine Übung im Entfernungsschätzen gegeben. Das 13th Mass. ist relativ gut dokumentiert, Charles E. Davis Jr. hat 1894 in Boston seine Erinnerungen Three Years in the Army publiziert. Für ein Exemplar des Buches zahlen amerikanische Sammler heute 350 Dollar, es gibt aber auch, wie von so vielen Quellen des Civil War, ein preiswertes Reprint des Buches. Davis' Buch besteht aus fünf Tagebüchern, in die offizielle Quellen eingefügt sind, eine im 19. Jahrhundert verbreitete Form des Kriegsberichtes. Es ist keine hohe Literatur, aber es ist in seiner humorvollen und oft philosophischen Art sicherlich eins der wichtigsten Bücher dieses Genres.
Neben Davis haben wir noch Austin C. Stearns 13th Massachusetts: Three Years with Company K (Cranbury, NJ, 1976). Ferner gibt es das Tagebuch des Sergeanten John A. Boudwin, der bei Gettysburg gefangengenommen wird. Die 400 Seiten dieses Manuskripts sind vor allem für die Schilderung des Südstaatengefängnisses von Belle Isle interessant. Das Manuskript wurde auf dem Markt zum Preis von 15.000 Dollar angeboten und ist seit 2003 im Besitz des Pearce Museum. Darüber hinaus gibt es Erwähnungen von Einzelepisoden des Krieges in Briefen und Kriegstagebüchern. Es existieren auch einzelne Photos, die das Lagerleben des 13th Mass. zeigen. Sie sind allerdings wenig aussagekräftig und könnten auch jedes andere Regiment zeigen. Es ist eine verlockende Vorstellung, daß F.A. Jones eine der schattenhaften Gestalten neben einem weißen Zelt sein könnte. Wahrscheinlich wird noch peu à peu über die Jahre mehr ans Tageslicht kommen, die 13th Mass. haben inzwischen eine ➱Homepage und einen eigenen ➱Blog.
Die 13th Mass. (die während des Revolutionskrieges einen berühmten Vorgänger haben, ein 13th Mass. unter Colonel Edward Wigglesworth wird mit Washington den schlimmen Winter in Valley Forge verbringen) werden am 16. Juni 1861 in Fort Independence (wo auch 1827 der junge Edgar Allan Poe seine militärische Karriere begann) in Boston aufgestellt. Die Freiwilligen werden mit Uniformen und Waffen versehen (manche Uniformstücke und die viel zu großen Hüte werden das Regiment erst am 22.8. in Sandy Hook erreichen). Die Freiwilligen werden namensmäßig erfasst, Kompanien zugeteilt und erstem Kasernenhofdrill unterworfen. Es gibt hier zeitgenössische Briefe die beklagen, daß die 13th Mass. immer noch nicht die Kaserne geräumt haben, um Platz für andere volunteer regiments zu machen. Wir können der Regimentsliste entnehmen, daß zwar sehr viele Freiwillige am 16. Juni anwesend sind, aber auch noch viele in den nächsten vier Wochen kommen werden, Florentine A. Jones kommt erst am 24. Juli. Daß sich ein Regiment nach drei Jahren während des Krieges auflöst, mag heute erstaunen, ist aber damals die Regel. Die ersten Milizen wurden noch für 90 Tage nach einem Gesetz von 1795 einberufen, damals glaubte man auch noch, daß der Krieg in einem Monat zu Ende sein würde. Wenig später ging man zu den Dreijahresregimentern über (obgleich es auch Regimenter gab, die sich nur für zwei Jahre verpflichteten), für die erst die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden mussten. Bei der Auflösung eines Regimentes war ein re-enlistment in einem anderen Regiment möglich.
Die 13th Mass. (links die Flagge in Framingham) sind ein Freiwilligenregiment, also eine Bürgermiliz. Nur 10% der 450.000 Freiwilligen dieses Krieges werden in reguläre Regimenter eintreten, die restlichen 90% werden in selbstorganisierten Einheiten dienen. Die Offiziere dieser Einheiten werden häufig von der Einheit gewählt (und haben häufig auch keinerlei militärische Vorbildung), eine Form des basisdemokratischen amerikanischen Bürgersinns. Die Armee wird dieser Praxis spätestens 1864 Einhalt gebieten. Die Offiziere werden auch nicht in der Rangliste der US Army geführt, falls sie während des Krieges oder nach dem Krieg von der regulären Armee übernommen werden, werden sie rang- und soldmäßig niedriger eingestuft. Manche der volunteer regiments haben auch Regelungen, daß niemand über den Rang des Captain befördert wird (der Autor des bedeutendsten Bürgerkriegsromans, John William DeForest, wird diese Erfahrung machen), die Rangfolge richtet sich dann nach der Anciennität. Die Freiwilligenregimenter werden von der regulären Armee mit Skepsis betrachtet (der preußische Generalstabschef von Moltke sollte von bewaffneten Banden sprechen, der Times Korrespondent William H. Russell von einer rabble army), das tut aber dem patriotischen Enthusiasmus und Korpsgeist dieser Regimenter keinen Abbruch. In manchen Fällen treten auch bereits existierende Milizkompanien geschlossen in ein Regiment ein. Das ist auch hier der Fall: Kompanie I ist eine Milizkompanie, die schon vor der Gründung des Regiments an Kampfhandlungen beteiligt war.
Betrachtet man die ➱Regimentsliste des 13th Mass., so wird man feststellen, daß die Freiwilligen alle blutjung sind, in der Regel 18 bis 25, und daß sie beinahe alle Handwerker sind. Neben den clerks, die auch zahlreich vertreten sind, sind unzählige Schuster dabei (wir können daran ablesen, daß Massachusetts das Zentrum der amerikanischen Schuhindustrie ist); aber auch alle anderen handwerklichen Berufe sind repräsentiert, sogar ein dentist (damals noch eher ein Handwerker als ein Arzt) und mehrere piano-forte maker. Man hat einen company musician, und auf der Fahrt nach Washington werden noch die Marlboro Coronet Band Musicians zusteigen - auf jeden Fall ist am 30. Juli 1861 für gute Stimmung gesorgt.
Einige aus dem Regiment neben F.A. Jones werden nach ihrer Dienstzeit noch berühmt werden: Henry Bacon, von Beruf artist, arbeitet schon während seiner Dienstzeit als Zeichner für Leslie's Weekly. Könnte es sein, daß er F.A. Jones gezeichnet hat? Könnte der auf dem Bild hier sein? Bacon geht nach dem Kriege nach Paris und wird dort berühmt. Unter anderem wird er 1870/71 als Schlachtenmaler in französischen Diensten stehen. Nehemia Mayo Dyer wird nach einem Jahr zur Navy wechseln, er wird es dort bis zum Admiral bringen. Charles Follen Adams, der bei Gettysburg gefangengenommen wird, wird nach dem Krieg als Autor von humoristischen Gedichten eine nationale Berühmtheit erfahren. Er schreibt in einem deutsch-amerikanischen Dialekt, den man Pennsylvania Dutch nennt, was immer sehr komisch wirkt wie zum Beispiel in: und dann sind die pigs übern fence gehoppt und haben die potatoes gedamaged.
Florentine A. Jones, 20 Jahre alt, gibt seinen Beruf mit watchmaker an, er ist aber nicht der einzige Uhrmacher im Regiment. Da sind noch Walter S.C. Heath, 29, in Kanada geboren und Edgar Newhall, 21, aus Boston. Beide werden desertieren. Leon Felinski aus Polen ist nur kurz bei dem Regiment und wird in ein anderes versetzt. Bleiben noch Andrew J. Lloyd, 28, aus Gloucester, der 1864 nach Boston geht und George M. Maynard, 25, aus Waltham, Mass., der auch nach Waltham zurückkehrt. Wir können annehmen, daß er in der gleichnamigen Uhrenfabrik arbeitet. Maynard wird von den Uhrmachern im Regiment die steilste Karriere machen, er wird Captain und Major. Allerdings nicht bei den 13th Mass., sondern bei den USCT, den farbigen Einheiten der Nordstaatenarmee. Es muß sich um einen abolitionist handeln, denn ohne einen solchen Background ist eine derartige Karriere nicht recht denkbar. Vor der Einstellung als Offizier bei den USCT ist eine Aufnahmeprüfung zu bestehen, bei der schon die Hälfte der Bewerber ausscheidet. Maynard ist nicht der einzige, der diesen Weg geht, die Regimentsliste enthält da noch eine Vielzahl von Namen, wie den Schuhmacher Jabez E. Blackmer, der vom einfachen Soldaten zum Captain aufsteigt. Wer weiterkommen will, hat in den 1863 gegründeten United States Colored Troops eine Chance, in einem Freiwilligenregiment ist eine Beförderung sonst so gut wie ausgeschlossen. Die USCT werden auf weiße Offiziere bauen, zwar gibt es in den 166 Regimentern (= 180.000 Soldaten) knapp einhundert farbige Offiziere, die werden aber nicht über den Rang des Captain hinauskommen. Der ranghöchste Farbige im Bürgerkrieg ist ein Oberstleutnant (zwar gibt es einen Fall, in dem ein Regiment einen Colonel wählt, aber der wird dann doch, trotz erwiesener Kompetenz, von der Armee zurückgestuft werden). Diejenigen, für deren Sache man kämpft, erreichen in diesem Krieg noch nicht die vielgerühmten Ziele der Unabhängigkeitserklärung that all men are created equal.
Als Indianer hat man es da schon leichter, Grants militärischer Sekretär Ely S. Parker (zweiter von rechts) ist ein Seneca Indianer. Wenn General Lee ihm beim Waffenstillstand im Appomattox Court House die Hand schüttelt, wird er sagen: Ich freue mich, hier einen richtigen Amerikaner zu sehen, worauf Colonel Parker stoisch erwidern wird: Wir sind alle Amerikaner. Wenig später wird die nun beschäftigungslose Nordstaatenarmee die indianischen Amerikaner ausrotten.
Das Regiment verlässt Fort Independence am 30. Juli 1861, man fährt mit der Eisenbahn (die ja für den Bürgerkrieg von entscheidender Bedeutung ist - ohne den genialen Organisator des Eisenbahnwesens Herman Haupt wäre der Norden verloren gewesen) nach Washington. Der Zug hält an jedem Bahnhof, die Bevölkerung winkt, Mädchen werfen Blumensträuße, die Musik spielt. Über diese Idylle haben wir genügend Berichte. In Washington gibt es die übliche Parade, die es auch schon in Boston gegeben hatte. Man wird der Army of the Potomac zugeteilt, der Division von Nathaniel P. Banks. Der war gerade noch Gouverneur von Massachusetts gewesen, bevor ihn Lincoln zum General machte. Er ist einer der sogenannten "politischen" Generale, und political general wird zu einem Synonym von Inkompetenz werden. Der nachmalige Oberbefehlshaber Henry W. Halleck wird urteilen: It seems but little better than murder to give important commands to such men as Banks, Butler, McClernand, Sigel, and Lew Wallace. Yet it seems impossible to prevent it. Lew Wallace wird nach dem Krieg als der Autor von Ben Hur berühmt werden, der Deutsche ➱Franz Sigel wird in die Geschichte des Bürgerkrieges eingehen als der General, der die meisten Schlachten vermieden hat. Ein Meister des geordneten Rückzugs. Auch das sollte man bewundern. Unter dem Strich betrachtet werden sich die political generals als genau so fähig oder unfähig erweisen wie die Professionals, die West Point oder das Virginia Military Institute besucht haben. Man vertraut ihnen allerdings im Zweifelsfall keine wichtigen Kommandos an, und das ist häufig lebensrettend für die Truppen, die unter ihnen dienen. Auch für F.A. Jones' 13th Mass. Bis 1862 ist das Regiment im Einsatz auf Patrouillendienst für Eisenbahnlinien und Kanäle. Man marschiert, schanzt und patrouilliert und kommt dabei für drei Monate nicht aus der Kleidung, wie ein Briefschreiber beklagt.
Bei der ersten richtigen Schlacht, die Banks schlägt, bei Cedar Mountain, werden die 13th Mass. als skirmishers eingesetzt, Vorgeplänkel, nicht Entscheidendes. Banks verliert die Schlacht, nicht zuletzt weil sein Gegenüber Stonewall Jackson heißt, der ist ein ausgebuffter Profi, kein Amateur wie Banks. Die 13th Mass. werden hin- und her versetzt und so kommt es, daß sie bei jeder campaign und jeder battle dabei zu sein scheinen. In Wirklichkeit sind sie, wie 50% der Nordstaatenarmee eine Art Polizeitruppe geworden, die den besetzten Süden patrouilliert und militärische Objekte bewacht (und ein militärisches Objekt ist in diesem Krieg beinahe alles, auch Rinderherden. Das Regiment hat sogar einen Sergeanten, der hauptamtlich die cattle guard organisiert). Gönnen wir ihnen diesen Krieg, der nur 10% dieses Regiments vernichten wird. Hätte F.A. Jones nicht überlebt, hätte es die IWC nicht gegeben.
Es klingt für ein Regiment gut, wenn man sagen kann, daß man bei Gettysburg dabei gewesen ist. Gettysburg wird den Krieg entscheiden. Die 13th Mass. sind dabei gewesen, we few, we happy few, können sie mit Shakespeares Henry V. sagen, denn ihre Truppenstärke beträgt nur noch 284 Mann. Daß die Sollstärke von 1.000 Mann nicht erreicht wird, ist zu diesem Zeitpunkt die Norm, viele Regimenter haben nur noch ein Drittel ihrer ursprünglichen Stärke. Wo sind die anderen? Viele werden in Lazaretten sein, Krankheiten zehren an dieser Armee ebenso wie die unglaublich hohen Verlustzahlen (die USA werden im Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht solche Verluste zu beklagen haben wie im Civil War).
Regimenter aus der Stadt werden übrigens mit allen Infektionskrankheiten besser fertig als die vor Gesundheit strotzenden Farmerjungen aus dem Süden. Die Truppen des Nordens werden auch die bessere medizinische Versorgung haben, nach dem Vorbild der berühmten Engländerin Florence Nightingale werden Amerikanerinnen resolut eine medizische Versorgung aufbauen. Viele fühlen sich berufen, den Verwundeten und Kranken zu helfen. Walt Whitman wird jahrelang in Krankenhäusern Gedichte vorlesen und junge Männer trösten. Viele aus dem Regiment können auch auf Urlaub sein. Im Süden bekommen Offiziere sogar Urlaub von der Front, weil sie ein Ritterturnier à la Sir Walter Scott auf ihrer Plantage veranstalten. Manche sind desertiert, wie unsere beiden Uhrmacher - obgleich die Deserteure in unserem Regiment zahlenmäßig niedrig sind. Manche sind aus Gesundheitsgründen entlassen worden, andere aus Unfähigkeit: Walter H. Judson ist 35, Rechtsanwalt, er wird 1861 als Leutnant eingestellt und wird am 22. November 1862 entlassen. Auch dieser Eintrag in der Regimentsliste ist typisch: viele Offiziere werden 1862 entlassen werden, weil sich in einem Jahr ihre offensichtliche Unfähigkeit erwiesen hat. Viele Soldaten sind gefangengenommen worden. Gerade bei ➱Gettysburg geraten mehr Soldaten des 13th Mass. in Gefangenschaft als in den Jahren zuvor. Auch hier ist das Regiment repräsentativ, am ersten Tag von Gettysburg werden 4.500 Soldaten des Nordens gefangengenommen werden. Wenn sie Glück haben, kommen sie nicht in das KZ-ähnliche Lager Andersonville, dessen Kommandanten Henry Wirz man nach dem Krieg hängen wird. Aber auch Belle Isle (wohin Sergeant Boudwin gerät) oder Libby Prison sind kein Zuckerschlecken. Captain Morton Tower von der B-Kompanie des 13th Mass. wird es am 9.2.1864 gelingen, aus dem Libby Prison zu entkommen.
Am Morgen des 1. Juli 1863 wird eine Kavallerieeinheit unter General John Buford (links) Truppen der Konföderierten nordwestlich von einer kleinen Stadt (2.400 Einwohner) namens Gettysburg erspähen. Zwar weiß man, daß Lee in den Norden einmarschiert ist, aber wo genau seine Armee steht, weiß man nicht. Lee weiß auch nicht, wo die Nordstaatenarmee steht. Seine Kavallerie unter Jeb Stuart reitet einmal um die Army of the Potomac herum und ist für Tage verschwunden. Die Truppen von General Hill sind auf dem Weg nach Gettysburg, weil sie dort eine Eisenbahnladung Schuhe vermuten. Die braucht der Süden dringend, seine Soldaten kämpfen oft barfuß. Bei der Vielzahl der Schuster in den 13th Mass. können wir vermuten, daß sie gepflegtere Stiefel haben. John Buford ist ein Professional, der auch sogleich die strategisch günstige Lage der Hügelkette südlich von Gettysburg erkennt. Seine Kavallerie wird als Infanterie kämpfend (nichts Ungewöhnliches in diesem Krieg) die ersten Truppen von Hill aufhalten, gleichzeitig bittet er um Verstärkung. Die kommt mit General Reynolds. Zu dessen Korps gehören auch unsere 284 Soldaten vom 13th Mass., und so kommt es, daß sie bei diesem ungewollten Schlachtanfang einmal in vorderster Linie sind. Im Laufe des Tages werden sich beide Seiten verstärken, aber der erste Tag von Gettysburg ist nichts im Verhältnis zu dem, was folgen wird.
Zwar wird der Major Jacob P. Gould (links) von der G-Kompanie, der auch den Beinamen the fighting major hat, später wegen Tapferkeit ausgezeichnet werden, aber von wirklich heroischen Taten des Regiments kann nicht unbedingt die Rede sein. Vierundvierzig Mal wird der Kongreß die Medal of Honor an Soldaten aus Massachusetts vergeben, von den 13th Mass. ist niemand dabei. Etliche werden an diesem Tag in Gefangenschaft geraten, unter anderem Charles Follen Adams (der wird aber drei Tage später freigelassen). Aber an diesem ersten Tag wird noch nichts entschieden, keiner der Oberkommandierenden ist bisher auf dem Schlachtfeld angekommen.
Der Norden (einschließlich unserer 13th Mass.) zieht sich kaum noch geordnet durch Gettysburg nach Süden auf die Hügel von Culp's Hill und Cemetery Ridge zurück. Der offizielle Bericht von Colonel Batchelder an das Oberkommando vom 21.8.1863 belegt, daß die 13th Mass. tapfer gekämpft haben, daß sie sogar 132 Gefangene (7 Offiziere inklusive) gemacht haben und sich erst zurückgezogen haben, als die Lage unhaltbar wurde. Rechts von ihnen brechen die Truppenteile von Howard und Carl Schurz weg. Diese Truppen sind überwiegend deutschstämmig und haben den Ruf, bei der kleinsten Gefahr zu fliehen. Dagegen sind unsere 13th Mass. heute wirkliche Helden. Das Schild vor dem Friedhof von Cemetery Hill (oben das Friedhofstor nach der Schlacht), das jedes Tragen von Feuerwaffen verbietet, wird der absurdeste Kommentar auf das sein, was am 2. und 3. Juli geschehen wird. Die Einwohner von Gettysburg sind in heller Aufregung, Frauen holen die Wäsche von der Leine, Männer pflücken noch schnell die Bohnen, damit die Rebellen das nicht tun. Über die kleinsten alltäglichen Dinge haben wir schriftliche Zeugnisse. Die Schlacht wird heute noch von Amateurkompanien nachgespielt, das 13. Regiment besitzt seit 2005 auch eine ➱re-enactment company. Der Film Gettysburg von 1993 konnte sich all dieser Amateursoldaten als Komparsen bedienen. Am zweiten Tag von Gettysburg hört man nichts mehr von unseren Freiwilligen aus Boston (sie werden als Reserve eingesetzt und helfen hinter der Front bei der Artillerie aus). Die Soldaten eines Freiwilligenregiments aus Maine unter Führung eines Professors, Colonel Joshua Chamberlain, werden zu den Helden des Tages. Der dritte Tag wird den großartigen aber sinnlosen Angriff von Südstaatengeneral George Pickett sehen, der Teil der Mythologie des Südens geworden ist. Er ist von William Faulkner in Intruder in the Dust als ein gleichsam schwebender, zeitloser Moment geschildert worden.
Ein Schlachtengemälde von James Walker zeigt in der Mitte des Bildes General Lewis A. Armistead, der als einziger die Linie des Nordens erreichte. Tödlich verwundet übergibt er seine goldene Taschenuhr einem Offizier, damit der sie seinem Freund Winfield Scott Hancock überbringen möge. Hancock, der als Vornamen den Namen des ➱ältesten Generals des Nordens trägt, wird sich in dieser Schlacht als fähigster General des Nordens erweisen. Was mag aus Armisteads Taschenuhr geworden sein? Wir finden in Regionalzeitungen während des Krieges Anzeigen wie Lost on Jenkins Ferry Battleground on April 30th 1864, one white gold Lepine pocket watch made in France..., welche Optimisten geben solche Anzeigen auf?
51.000 Soldaten in grauer oder blauer Uniform werden an dem verregneten Nationalfeiertag 1863 tot oder verwundet sein, ein Drittel der an der Schlacht beteiligten. Gemessen an diesen Zahlen sind die Verluste des 13th Mass. gering. Die gesamte 1. Brigade, der sie angehören, hat nur 51 Tote, allerdings 357 Verwundete und 633 Vermisste (d.h. Gefangene und Deserteure). Ein ehemaliger Gouverneur von Massachusetts namens Edward Everett wird am 19. November 1863 zur Eröffnung des Soldatenfriedhofs in Gettysburg eine Rede von einer Stunde und 57 Minuten halten. Seine Landsleute vom 13th Mass. können ihn nicht hören, die schieben schon wieder Wache am Rappahannock. Nach Everett wird Lincoln sprechen, nur wenige Minuten lang. Niemand wird sich an Everetts Rede erinnern, Lincolns Gettysburg Address ist Teil der politischen Rhetorik und wird bis heute in jedem Schulbuch stehen. Der Bürgerkriegsphotograph Matthew Brady wird das Schlachtfeld am Tage nach der Schlacht photographieren, örtliche Photographen werden noch ein Geschäft damit machen, angereiste Soldaten in der Pose eines Toten zu photographieren. Sozusagen der Beginn des Sensationstourismus.
Die bedeutendste Zeremonie in Boston nach der Flaggenparade vom 22. Dezember 1865, an der 100 Veteranen vom 13th Mass. und ihr Colonel S.N. Leonard teilnehmen, wird der Decoration Day 1897 sein. Das Denkmal von Augustus Saint-Gaudens auf dem Boston Common wird enthüllt werden, der Philosoph William James ist einer der Festredner. F.A. Jones war da längst von seinem Schweizer Abenteuer zurück, wahrscheinlich ist er einer der Zuschauer gewesen. Die Ehrungen der Bostoner Patrizier, des Adels von Amerika, gelten aber nicht dem 13. Regiment, es ist das 54., das hier gefeiert wird. Es ist das erste Regiment von Schwarzen, angeführt von seinem weißen Colonel Robert Gould Shaw, dem Sohn eines führenden Anti-Sklaverei-Politikers.
Two months after marching through Boston/half the regiment was dead, wird es in Robert Lowells großartigem Gedicht For the Union Dead (1964) heißen. Das Ereignis ist seit dem 19. Jahrhundert in vielen Gedichten beschrieben worden, es ist Teil der amerikanischen Literatur geworden. Jüngst wurde die Geschichte des Regiments unter dem Titel Glory verfilmt. Der Pomp zeigt aber auch, daß es in Boston ein Oben und Unten gibt. F.A. Jones' Regiment ist ein Regiment von Handwerkern. Shaw dagegen war Mitglied der Society of the Cincinnati, zu der schon George Washington gehört hatte. Obgleich Shaws Vater 1863 der Meinung gewesen war, daß der Graben, in den man seinen Sohn geworfen hatte, Denkmal genug sei (They buried him with his brave, devoted followers who fell dead over him and around him...we can imagine no holier place than that in which he is nor wish him better company), verlangte man 30 Jahre später doch nach mehr an nationaler Symbolik.
Shelby Foote, der renommierte Autor einer dreibändigen Geschichte des Bürgerkriegs (an der er 18 Jahre gearbeitet hat), hat das Leben des einfachen Soldaten als tough bezeichnet. Die jungen Männer sind Märsche nicht gewöhnt (Edgar Allan Poe hatte schon Jahrzehnte zuvor beklagt, daß die Amerikaner zu faul seien, ihre Kutschen zu verlassen, um nach einem kurzen Fußweg die größten Schönheiten der Natur zu genießen), noch dazu mit Gepäck. Langeweile macht den Hauptteil des Soldatenlebens aus. Die Vergnügungen sind klein: Kartenspiele, Wetten, Hahnenkämpfe, Alkohol (häufig selbstgebrannt), Bordelle (allein in Washington gibt es 450) und Baseball.
Angeblich ist das Spiel 1839 in Cooperstown von General Abner Doubleday, einem der Helden von Gettysburg, erfunden worden. Baseball wird im Norden wie im Süden gespielt und wird von nun an zum amerikanischen Nationalsport werden. Und dann gibt es noch die Musik. Ich glaube nicht, daß eine Armee ohne Musik existieren kann, sagt Robert E. Lee nach einem Konzert seiner Militärkapelle. Zahlreiche Briefstellen belegen, daß die abendlichen Darbietungen der Regimentskapelle den Soldaten über Heimweh, Verlorenheit und Angst hinweghelfen. Neben Patriotischem wie I wish I were in Dixie's Land oder Battle Hymn of the Republic gibt es - so schreibt ein Soldat aus Massachusetts - Opernquerschnitte, Quicksteps, Walzer und natürlich Märsche. Aber das Größte sind sentimentale Lieder wie ➱Lorena, der Number One Song des Bürgerkrieges, der beide Seiten eint. 125 Jahre nach dem Krieg wird die aus der PBS TV-Dokumentation The Civil War von Ken Burns ausgekoppelte CD mit den Songs des Bürgerkriegs in die US-Charts kommen.
Was wird F.A. Jones tun? Wird er Baseball spielen? Wird er in der Freizeit Uhren reparieren? Wird er mit den anderen Uhrmachern seines Regiments fachsimpeln? Wir wissen es nicht. Schreibt er, wie so viele junge Soldaten Briefe nachhause, in denen er das unmoralische Leben in der Armee beklagt? Wir haben unzählige Briefe von Soldaten und Offizieren in Textsammlungen und Archiven, die nur zum Teil ausgewertet worden sind. Jeder scheint in seiner Freizeit zu schreiben, Notizen, Briefe, Tagebücher. Manchmal in grauenhafter Orthographie (was typisch amerikanisch ist, selbst Hemingway stand mit der Orthographie auf Kriegsfuß), manchmal voll der schönsten patriotischen Rhetorik. Auch Offiziere schreiben: nach Meinung von Gore Vidal ist Ulysses S. Grant einer der größten Stilisten der englischen Sprache. Auch Mark Twain mag dieser Meinung gewesen sein, sein Leben und Grants Memoiren werden schicksalhaft verbunden sein.
Nach Gettysburg werden die 13th Mass. noch an den blutigen Schlachten von The Wilderness und Spotsylvania sowie an der Belagerung von Petersburg teilnehmen. Von Harper's Ferry 1861 im Norden Virginias bis Petersburg 1864, der südlichsten Schlacht, werden sie auf allen Schlachtfeldern Virginias gewesen sein. Glücklicherweise wieder nicht in der vordersten Linie. Die Armeeführung wird Freiwilligenregimenter, deren Dienstzeit ausläuft, nicht mehr als Kampftruppen einsetzen. Sie werden wahrscheinlich Gräben ausheben, der Bewegungskrieg ist zu einem Stellungskrieg geworden. Die 13th Mass. wollen nachhause. Der Krieg wird nach ihrer Ausmusterung weitergehen, mit schlimmeren Materialschlachten als zuvor. Die Veteranen des 13th Mass. werden noch ein dreiviertel Jahr davon jeden Tag in der Zeitung lesen können. Sie werden von Lees Kapitulation bei Appomattox lesen. Drei Tage später wird Professor Chamberlain, der Held von Gettysburg, inzwischen Generalmajor, die kapitulierende Südstaatenarmee mit militärischen Ehren behandeln. Von Washington bis New York und Boston werden sich die Städte in einem karnevalsartigen Siegestaumel befinden. Der Friede in Freiheit, von dem das Regimentsmotto spricht, scheint gewonnen.
Karl Marx wird über den Bürgerkrieg schreiben, und auch in Amerika fühlen sich viele berufen, über den Krieg zu schreiben. Es wird eine ganze Industrie patriotischer Literatur geben, wobei erstaunt, wie sehr sich die etablierte Literaturszene zurückhält. Walt Whitman ist hier eine Ausnahme. Die meisten dieser Machwerke sind heute glücklicherweise vergessen. Literarisch überleben werden Walt Whitman, Ambrose Bierce, John William DeForest mit Miss Ravenel's Conversion from Secession to Loyalty und Stephen Crane mit seinem Roman The Red Badge of Courage. Neben diesen Autoren, die heute zum Kanon der amerikanischen Literatur gehören, sind noch die Bücher von Interesse, die keine literarischen Qualitäten oder Prätentionen haben, die aber ein ungeschminktes Bild vom Alltag des Soldaten zeigen. Wilbur F. Hinmans Corporal Si Klegg and his 'Pard' (1887) - eine mögliche Quelle für Stephen Crane - und Joseph Kirklands The Captain of Company K (1891) müssen hier genannt werden. Es werden diese Werke sein, wie auch Davis' Erinnerungen an die 13th Mass., die von den Veteranen am liebsten gelesen werden. Obgleich sich auch viele in Cranes Red Badge of Courage wiederfinden werden und schwören würden, der Autor sei bei Chancellorsville dabei gewesen. Er war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren.
Die Literatur des Bürgerkriegs ist Gegenstand zweier richtungsweisender Monographien, Edmund Wilsons Patriotic Gore (1962) und Daniel Aarons The Unwritten War (1973). Die Standardbibliographie zur amerikanischen Geschichte, Frank Freidels Harvard Guide to American History, nennt an Contemporary Accounts nur 20 Quellen und 6 Biographien. Hier hat sich die Zahl der (auto-) biographischen Berichte, die nach Aaron unbedingt zur Literatur des unwritten war zu zählen sind, doch erheblich vergrößert. Seit der ersten repräsentativen Sammlung The Blue and the Gray (1951) von Henry Steele Commager (in der auch Teile von Davis abgedruckt sind) hat sich viel bewegt. Das Internet, in das viele Archive und local historians ihre Bestände eingegeben haben, hat hier Erstaunliches leisten können. Davis, der Biograph des 13th Mass., der auch den Lebensweg einzelner Regimentsmitglieder verfolgt hat, wird von vielen seiner Regimentskameraden gelesen worden sein, die ja auch noch nach dem Krieg durch Regimentstreffen einen Zusammenhalt wahrten. Man kann davon ausgehen, daß auch unser F.A. Jones ein Exemplar von Three Years in the Army besessen hat.
1868 wird John A. Logan (ein politischer General, der sich als Korpskommandeur bewährt hatte) als Oberkommandierender der Grand Army of the Republic den 30. Mai als Decoration Day ausrufen, als den Tag, an dem die Gräber der Toten des Krieges geschmückt werden sollen. Der Tag ist heute nationaler Feiertag. Die Veteranen aller Regimenter werden sich in jedem Jahr zu einem formalisierten Ritual von Paraden, Flaggen, Marschmusik und patriotischen Reden treffen. Auch F.A. Jones wird dabei gewesen sein. Über die Jahre werden die Veteranenregimenter immer kleiner werden, der Krieg wird immer weiter in die Vergangenheit rücken. Aber niemand wird ihn vergessen, bis zum heutigen Tag nicht. Ein amerikanischer Historiker hat einmal gesagt, daß der Krieg zwar 1865 beendet wurde, das wahre Ende aber erst im Jahr 3000 zu erwarten sei. Noch bis in die Roosevelt-Ära werden inzwischen 90jährige Veteranen zum Decoration Day antreten. Der berühmteste Veteran eines Regiments aus Massachusetts ist Amerikas renommiertester Jurist, Oliver Wendell Holmes, vom Harvard Regiment, der bis 1932 Richter am Supreme Court ist.
Massachusetts ist der Staat, in dem Lincolns Republikaner die größte Anhängerschaft haben, mit den Stimmen von Massachusetts wird Lincoln Präsident. Das erste voll ausgerüstete Regiment, das sich Lincolns Aufruf nach Freiwilligen vier Tage später unterstellt, kommt aus Massachusetts. Die 6th Mass. werden ihre ersten Toten bei einer Straßenschlacht mit dem Pöbel von Baltimore haben. Florentine A. Jones dient in einem Regiment aus Massachusetts, obgleich er eigentlich aus New Hampshire kommt. Aber inzwischen ist er Uhrmacher in Boston, dem Herzen Neuenglands. In einem Staat, der seit der Gründung der Zeitung The Liberator 1831 die politische Hochburg der Anti-Sklaverei-Bewegung ist. Ein Staat, der das intellektuelle Zentrum Amerikas ist. Melvilles Moby-Dick wird in Massachusetts geschrieben, die Harvard Universität hat Weltgeltung. Der intellektuelle und gesellschaftliche Snobismus der Bostoner Society wird Jones fremd sein. Obgleich er darauf verweisen könnte, daß seine Familie schon ebenso lange in Amerika ist wie die Cabots und Lowells (über die man in Boston sagt, daß sie sich nur noch mit Gott unterhalten). Die Familie Abraham Lincolns ist auch seit 1630 in Neuengland, da haben er und Jones etwas gemeinsam.
Die Überzeugungen der Freiwilligen sind schlichter und ehrlicher Natur, wie die Untersuchungen von tausenden von Briefen ergeben haben. Man kämpft für die beste Regierung der Welt, für die Union, die Verfassung und das Recht, man ist es den Amerikanern der Revolutionszeit schuldig, die die Demokratie erkämpft haben. Die amerikanische Flagge, die Union der Staaten, die Verfassung und die Demokratie, diese Symbole werden immer wieder beschworen. Lincoln wird in seiner brillanten Rhetorik diese Symbole instrumentalisieren, die Gettysburg Address ist nur eins dieser Dokumente. Wenn der Präsident einer Mutter aus Massachusetts, die fünf ihrer Söhne im Krieg verloren hat, kondoliert, dann rühren die ➱wohlgesetzten Worte noch heute.
Eine City Upon the Hill wollten die Puritaner in Amerika errichten, eine gottgefällige Musterstadt, in die jedermann hineinschauen kann. Seit der königlichen Konzession für John Winthrops Massachusetts Bay Company 1629 ist Massachusetts der Staat gewesen, der Religion, Idealismus und Kommerz am geschicktesten verbunden hat. Massachusetts ist die florierendste Kolonie im 17. und 18. Jahrhundert, gehört zur Avantgarde im amerikanischen Freiheitskampf, John Hancock aus Massachusetts unterschreibt als erster die Unabhängigkeitserklärung (mit sehr großer Schrift). Massachusetts ist Gründungsstaat der jungen Republik und wird ein halbes Jahrhundert später die Führung im Kampf gegen die Sklaverei übernehmen. Massachusetts wird der erste Staat sein, der konsequent Eli Whitneys Prinzipien der genormten industriellen Massenfertigung übernehmen wird: kein Wunder, daß sich die ersten Uhrenfabriken in Waltham und Roxbury (Boston) niederlassen werden.
Hier wird der junge F.A. Jones, der offensichtlich physisch und psychisch ungebrochen aus dem Krieg zurückkehrt, seine Karriere beginnen. Er hat seinen Teil für den Staat und die Union getan, sein Regiment ist ein Mikrokosmos des Staates Massachusetts gewesen. Keine Auszeichnungen und Ehrungen, keine Beförderungen. Freiwilligenregimenter sind stolz darauf, in der Anonymität zu dienen. Die militärische Glitzerwelt überläßt man General Custer oder Colonel John Jacob Astor. Würde Jones lediglich nach Boston zurückkehren, sich dort als Uhrmacher niederlassen, ein Leben lang als ehrlicher, begabter Uhrmacher arbeiten, wir hätten Respekt vor dieser Lebensleistung eines typischen Amerikaners des 19. Jahrhunderts. Aber der junge Florentine Ariosto Jones wird es nicht dabei belassen. Vielleicht liegt es ja auch daran, daß ihm seine Eltern solch exzentrische Vornamen gegeben haben. Vornamen haben im puritanischen Neuengland immer programmatische Funktion. Seine Eltern müssen große Literaturliebhaber gewesen sein. Sein Bruder Greenleaf wird nach John Greenleaf Whittier benannt sein, damals der beliebteste Dichter Neuenglands (Greenleaf existiert sonst nur als Nachname, bei Whittier ist er als middle name eigentlich Teil eines Nachnamens). Ariosto wird man ein Kind nur nennen, wenn man Orlando Furioso gelesen hat. Die dort geschilderte ritterliche Welt hat nach 300 Jahren gerade wieder Konjunktur. Auch im Norden. Im Süden sowieso, da wird nach dem Civil War ein seltsames literarisches Machwerk mit dem Titel When Knighthood was in Flower zum Bestseller.
Florentine Ariosto Jones wird bei Amerikas führender Uhrenfabrik reüssieren, wird sich dann mit dem uhrmacherischen Genie George P. Reed zusammentun und wird danach zu seinem größten Abenteuer aufbrechen. Jemand, der von Harper's Ferry bis Petersburg auf allen Schlachtfeldern des Bruderkrieges dabei gewesen ist, wird sich vor nichts mehr fürchten, er wird, getreu seinem Regimentsmotto, always ready sein. Viele der jungen Männer, die aus dem Krieg zurückkehren, finden das Leben zuhause unbefriedigend: they found they were not satisfied with the farm, the store or the workshop of the villages, but wanted larger fields, schreibt Ulysses S. Grant, Oberbefehlshaber und späterer Präsident. Viele werden im Westen ihr Glück suchen. Jones geht in die andere Richtung, er kauft sich eine Fahrkarte für die Atlantikpassage. Die sind jetzt in Richtung Europa sowieso billiger, da die Schiffe, die die Auswanderer nach Amerika befördern, nur in einer Richtung ausgebucht sind. F.A. Jones ist auf dem Wege in die Schweiz, um seine International Watch Company zu gründen. Sein American Dream soll in Schaffhausen beginnen.
Hymne der 13th Massachusetts Infantry Volunteers:
Cheer for the banner as we rally 'neath its stars,
As we join the Northern legion and are off for the wars,
Ready for the onset, for bullet, blood and scars!
Cheer for the dear old flag!
(chorus)
Glory! Glory! Glory for the North!
Glory to the soldiers she is sending forth!
Glory! Glory! Glory for the North
They'll conquer as they go.
Cheer for the sweethearts we are now forced to leave,
Think of us, lassies, but for us don't grieve
Bright be the garlands that for us you'll weave,
When we return to your smiles.
(chorus)
Blank looks in Dixie when Northern troops come!
Sad hearts in Dixie when the hear the victor's drum!
Pale cheeks in Dixie when rattle, shell and bomb,
And down goes the Dixie rag!
(chorus)
Swift heels in Dixie, but swifter on their track!
We'll meet them on their stumping ground and
Quickly drive 'em back!
Nimble feet in Dixie when they hear the rifle's crack
Of the Old Bay State's Thirteenth!
(chorus)
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