Heute vor 105 Jahren wurde der amerikanische Schriftsteller Robert Penn Warren geboren. Er ist in seinem Leben in Amerika sehr berühmt gewesen, er ist poet laureate gewesen, er ist der einzige Amerikaner, der einen Pulitzerpreis für einen Roman und zwei Pulitzerpreise, 1958 und 1979, für seine Dichtung gewonnen hat. Der Roman hieß All the King's Men, und er steht bei der Modern Library auf Platz 36 der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts. Eigentlich ist er ein ewiger Klassiker. Robert Penn Waren ist auch Literaturkritiker gewesen. Er hat mit seinem Universitätskollegen Cleanth Brooks 1938 ein Buch veröffentlicht, das für mehrere Jahrzehnte den Literaturunterricht in den Vereinigten Staaten geprägt hat. Das Buch heißt Understanding Poetry, und es ist in der Auflage von 1976 noch heute erhältlich.
Als Robert Penn Warren 1921 (mit 16 Jahren!) an der Vanderbilt University in Nashville zu studieren anfängt, ist im amerikanischen Süden kulturell nichts los. Warren und die Vanderbilt University werden das ändern. 1917 hatte der einflussreiche Literaturkritiker Henry Louis Mencken die kulturelle Situation der Südstaaten als Sahara of the Bozart beschrieben (wobei Bozart die phonetische Schreibweise von Beaux-Arts ist). Diese Schmähung wollte man im Süden nicht auf sich sitzen lassen. Wenn man schon vor einem halben Jahrhundert den Bürgerkrieg verloren hatte, dann wollte man jetzt diesen Kulturkrieg gewinnen. Die Vanderbilt University war nach dem Bürgerkrieg von dem Eisenbahnkönig Cornelius Vandertbilt mit einer Million Dollar gegründet worden, um der Kultur des Südens ein neues Zuhause zu geben. Und jetzt in den zwanziger und dreißiger Jahren macht die Universität in Nashville damit ernst. Von nun an kommt der wichtigste Teil der amerikanischen Literatur, von Faulkner bis Flannery O'Connor aus dem amerikanischen Süden. Die Musik von Jazz über Cajun und Zydeco bis Country&Western sowieso. Wenn man sich die Encyclopedia of Southern Culture von 1989 mit ihren 1.656 Seiten anschaut, dann fragt man sich, ob es in der amerikanischen Kultur überhaupt etwas gibt, das nicht aus dem Süden kommt. An dieser kulturellen Umwälzung hat Robert Penn Warren einen entscheidenden Anteil gehabt.
Warren gehört als Literaturkritiker zu einer Gruppe, die man New Critics nennt (und die manchmal auch Agrarians oder Fugitives genannt werden). Der New Criticism möchte mit seiner Methode des close reading die Literaturkritik auf eine wissenschaftliche Basis stellen. Nun sollte man meinen, dass ein close reading, ein genaues Lesen des Textes, der erste Schritt eines Literaturwissenschaftlers ist. Das interessiert an deutschen Universitäten heute keinen mehr. Da werden keine Texte mehr gelesen, da werden Theorien von spinnerten Franzosen aufgesagt. Das ist jetzt modern. In einem der letzten Auftritte der Münchener Lach- und Schießgesellschaft hatte Henning Venske eine Seite aus einem poststrukturalistischen Theoriewerk vorgelesen. Das Publikum hat sich vor Lachen gebogen. Die armen Pisa-Schüler, die jetzt arme Bachelorstudenten sind, können darüber nicht lachen. Die müssen das lernen. Da wünscht man sich manchmal, dass ein Exorzist daherkommt und den ganzen Spuk vertreibt. Dann könnte man wieder von Neuem anfangen. Und Robert Penn Warrens Understanding Poetry und Understanding Fiction als Basiswerke des Literaturunterrichts nehmen. Understanding Poetry ist ein soldides, vernünftiges Buch, Textbuch und Arbeitsbuch in einem. Die ganze Welt der englischsprachigen Dichtung auf 600 Seiten.
Ich würde jetzt ja gerne ein Gedicht von Robert Penn Warren an dieser Stelle bringen, aber die meisten sind zu lang zum Abtippen an einem Sonnabendmorgen. Und deshalb gibt es Herman Melvilles Gedicht Shiloh. Das hat Robert Penn Warren (der auch einen Band Gedichte von Melville herausgegeben hat) in dem Film Herman Melville: Damned in Paradise vorgelesen. Dieser Dokumentarfilm von Robert D. Squier war sehr aufwendig gemacht. F. Murray Abraham spielte darin Herman Melville, und der Erzähler des Films war kein geringerer als John Huston. Es ist in dem Film eine rührende Szene, wenn der achtzigjährige Dichter auf dem Schlachtfeld von Shiloh mit leicht brüchiger Stimme Melvilles Gedicht vorliest.
Shiloh
A Requiem
(April 1862)
Skimming lightly, wheeling still,
The swallows fly low
Over the field in clouded days
The forest-field of Shiloh -
Over the field where April rain
Solaced the parched one stretched in pain
Through the pause of the night
That followed the Sunday fight
Around the church of Shiloh -
The church so lone, the log-built one,
That echoed to many a parting groan
And natural prayer
Of dying foemen mingled there -
Foemen at morn, but friends at eve -
Fame of country least their care:
(What like a bullet can undeceive!)
But now they lie low,
While over them the swallows skim
And all is hushed at Shiloh.
Vor der Schlacht blühten die Kirschbäume in Shiloh, so wie sie jetzt bei uns blühen. Nach der Schlacht waren keine Blüten oder Blätter mehr auf den Bäumen. Dreieinhalb tausend Tote, sechzehntausend Verwundete, und der Bürgerkrieg hat erst angefangen. Die nächsten Schlachten werden noch viel furchtbarer sein. In Afghanistan blühen keine Kirschbäume, aber da ist ja auch kein Krieg. Da könnte man bestenfalls umgangssprachlich vom Krieg reden oder von dem, was man landläufig als Krieg bezeichnet.
Das Bild zeigt einen Mature Dogwood Baum auf dem Schlachtfeld von Shiloh in Tennessee.
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